Haus Leatitia
Eine zweiläufige Treppe führt zum Eingang, sechs geschmückte Säulen flankieren die Vorhalle, ein lichtdurchflutetes Atrium. Das altehrwürdige Haus macht neugierig – daher gibt es seit 2019 Führungen mit Amelie Kobsin, die Einblicke in die Geschichte des Hauses gibt.
Wie aus der Zeit gefallen so erscheint sie in Rot und Schwarz mit Hut und Sonnenschirm aus roter Spitze. Die Dame aus der Szene der Berliner Bohème wirkt elegant und scheint zu warten. „Da sind Sie ja“, sagt sie zu mir. „Stellen Sie sich bitte mit dem Blick zur Villa LAETITIA, denn ich möchte Ihnen nun mein Haus vorstellen.“ Bei jeder ihrer Bewegung rauscht der schöne lange Rock und ihr Schirm wirft zarte Muster auf ihre Wangen. Es ist das Jahr 1906, als die Berliner Theater Malerin Amalie Kobsin die Villenmeile von Brunshaupten nach Arendsee, dem heutigen Kühlungsborn, mit einem architektonischen Meisterwerk bereicherte. Der zweigeschossige Putzbau aus dem Jahr 1905/06 ist ein Einzeldenkmal und besitzt einen Dreiecksgiebel mit dem Namen des Hauses. Eine zweiläufige Freitreppe führt zum Eingang mit zentralem Lichthof und Galerie. Sechs reich geschmückte Säulen flankieren die Vorhalle. Die Villa ist an der Rückseite sechseckig.
„Guten Tag, meine geehrten Damen und Herren“, beginnt die Malerin Amalie Kobsin ihren Rundgang durch ihre Villa Laetitia. Vor ihr stehen Frauen und Männer, die wissen möchten, was es mit diesem so schönen Haus in erster Reihe auf sich hat. „Ich bin in Berlin an verschiedenen Theatern tätig, müssen Sie wissen“, beginnt die Dame. Hinter ihr verbirgt sich Karin C. Schatzberg, die zu besonderen Anlässen Rundgänge durch das altehrwürdige Haus anbietet, indem sich heute die Tourismus, Freizeit & Kultur GmbH Kühlungsborn befindet.
„Vor einigen Jahren ereilte mich der Ruf an die Küste zu ziehen. Ich beschloss, hier eine Malschule für Mädchen einzurichten. Ich nannte die Villa Laetitia – die Freude. Die Bülow Allee, so heißt sie zu meiner Zeit, ist ja noch nicht vollständig bebaut. Meine Villa ist doch exzellent geworden, finden Sie nicht auch?“ Karin C. Schatzberg kokettiert immer wieder mit Schirm und Charme. Sie liebt ihre Rolle: „Ich habe keine Kosten und Mühen gescheut, solch eine wundervolle Bäderarchitektur errichten zu lassen. Und schauen Sie nur, es ist die einzige zweiläufige Freitreppe weit und breit. Darauf bin ich besonders stolz.“ Und ja, so wirkt die Villa Laetitia sehr herrschaftlich und zieht die Blicke auf sich. „Wie kommt denn das gnädige Frau?“ frage ich. „Nun, alles andere sind Sommervillen mit einem Salon, so bauten die Herrschaften nur einen seitlichen Eingang“, erklärt Amalie Kobsin. „Ich jedoch habe hier eine Mädchenmalschule und ein Mädchenpensionat gegründet. Nur Mädchen aus gutem Hause, Töchter wohlhabender Eltern und mit guten Manieren haben Zutritt. Und selbstverständlich sind sie nie ohne Aufsicht. Sie bekommen hier Kost und Logis. Ich habe Vorsorge getroffen, dass sie in guter Obhut sind. Herrenbesuche sind selbstverständlich tabu, was denken Sie denn! Kein Spaziergang ohne Begleitung!“ Ich sagte: „Ihr Haus ist sehr beeindruckend!“ Sie zeigt sich etwas geniert: „Oh vielen Dank“ und errötet leicht. „Und dann noch in erster Reihe.“ nur wenige Schritte von der Villa entfernt blitzt die Ostsee durch die Bäume. Die Seeluft putzt die Lungen durch. „Nun, das ist doch wichtig. Die jungen Damen sollen doch auf das Meer blicken können und außerdem wäre das auch ein wunderschönes Malmotiv für sie“, sagt Amalie Kobsin. „Herrliche Lage dicht am Meeresstrande… Aussicht auf die See, Mädchenzimmer und Küche…“; so warb ein Ortsprospekt zu Beginn des 20. Jahrhunderts für die Villa „Laetitia“.
Amalie Kobsin läuft elegant die Treppen hoch, wo sich eine Tür magisch öffnet und den Blick in das lichtdurchflutete Atrium freigibt. „Ich ließ eine Glaskuppel einbauen, damit die Mädchen mit ihren Staffeleien hier bei Tageslicht stehen und malen können“, sagt sie. Das Atrium und der halbkreisförmige Aufbau der Innenräume unterstreichen die Offenheit des Hauses und boten den Mädchen einzigartige Bedingungen beim Erlernen der schönen Künste. „Aha, und wo schlafen die jungen Damen?“, frage ich. „Folgen Sie mir bitte“, sagt Amalie Kobsin und begleitet mich eine Holztreppe hinauf auf einen Rundgang. „Sehen Sie, hier befinden sich die Mädchenzimmer.“ heute sind darin moderne Büros untergebracht. „Wissen Sie, wir malen oft im Freien am Strand“, sagt Amelie Kobsin. Das ist so wie heute, wo zum Ostsee Plein Air diese alte Tradition des Freiluftmalens wieder auflebt. „Das Haus ist zum Walde hin sechseckig gebaut, ist das nicht wundervoll. Hier ist das besonders deutlich zu sehen“, sagt die Malerin und zeigt darauf. „Wo gibt es sonst so etwas und schauen Sie nur auf den umlaufenden Balkon. Da können die Mädchen frische Seeluft genießen und sind dennoch unter Beobachtung, so wie es schicklich ist.“ Der Balkon wurde im Zuge von Sanierungsarbeiten 2000/2002 entfernt, dafür der Lichthof wieder hergestellt und ein Fahrstuhl eingebaut. Amalie Kobsin zeigt noch ein paar Bilder,
die während des Ostsee Plein Air entstanden sind und verabschiedet sich dann: „Ich hoffe, mein Haus gefällt Ihnen und wenn Sie auch Töchter haben, so schicken Sie sie zu mir in den Unterricht.“ Amalie Kobsin lebte von 1906 bis zu ihrem Tode 1914 in der Villa Laetitia. „Leider gibt es von ihr wenig Authentisches“, sagt Karin C. Schatzberg. Nach ihrem Ableben ging die Villa an ihren Erben, Justizinspektor i.R. Hugo Schultz und trug seitdem den Namen „Gutenberg“. Der neue Besitzer kam aus Kröpelin und richtete in der Villa Laetitia eine Pension ein. 1937 wurde das historische Gebäude Eigentum der Familie Vick, die 1953 im Zuge der Aktion Rose enteignet wurde und es 1955 zurück erhielt. Obwohl Familie Vick die Villa 1960 an das Krankenhaus als Schwesterheim verpachtete, blieb das haus bis 1977 offiziell in ihren Händen. Die Abteilung Gesundheitswesen des Rat des Kreises kaufte das Gebäude, worauf das Kreiskrankenhaus die Villa zu Verwaltungszwecken und als Schwesternheim nutzte. Mit Umzug des Krankenhauses nach Bad Doberan übernahm die Stadt 1996 die Laetitia für touristische Zwecke. Die Villa ging in den Besitz der Kurverwaltung über. Im August 2001 begannen die einjährigen und aufwändigen Umbauarbeiten, um das Haus in seinen ursprünglichen Zustand zu versetzen, die der Kühlungsborner Architekt Reiner Granz betreute. Ab 2002 beherbergt Laetitia als das „Haus des Gastes“ die Tourismus GmbH – heute Tourismus, Freizeit & Kultur GmbH Kühlungsborn – mit einem umfassenden Informationsbereich. Drei originale Bilder im Atrium des Hauses erinnern an die Anfangsjahre der Villa Laetitia. Die Tourismus, Freizeit & Kultur Gmbh Kühlungsborn wurde am 1. Januar 2019 gegründet und erfüllt alle Aufgaben einer klassischen Kurverwaltung. Dazu gehören unter anderem Gästeservice und -information, Zimmervermittlung, Angebot von Aktiv- und Kreativkursen, Destinationsmarketing, Steigerung des Bekanntheitsgrades von Kühlungsborn, Veranstaltungsmanagement sowie Presse- und Öffentlichkeitsarbeit.
Seit 15 Jahren lebt Karin C. Schatzberg in Mecklenburg, seit mehr als einem Jahrzehnt in Kühlungsborn. Viele Jahre war die ganze Welt ihr Zuhause, denn die aus Hameln bei Hannover Stammende, arbeitete als Reiseleiterin und setzte ihren Lebensraum mit dieser Arbeit um. Einige Zeitlang war sie auch als Referentin beim Europäischen Parlament tätig. Drei Jahre lebte Karin C. Schatzberg in Irland und war dort Mitarbeiterin der Deutschen Presseagentur. Als die Thüringer Firma, in der sie angestellt war, Insolvenz anmeldete, gründete sie kurzerhand ihre eigene. Mittlerweile führt die Kühlungsbornerin ein modernes mobiles Reisebüro. Als Amalie Kobsin lebt sie in ihrer Freizeit auf. „Das ist eine Persianerweste, die ich trage, allerdings ein Erbstück meiner Großmutter, kein Tier musste jetzt dafür sterben. Ich habe von einem Kürschner die Ärmel des Mantels entfernen lassen. Der Schirm stammt vom Naumburger Weihnachtsmarkt, der Hut kommt aus Sankt Petersburg und die Jacke habe ich in einem Theaterfundus entdeckt. Rot und Schwarz sind meine Lieblingsfarben“, sagt Karin C. Schatzberg und rauscht davon zur nächsten Führung.