Doppel-Jubiläum
800 Jahre Kirche und Stadt Kühlungsborn
2019 feiert die Kirche ihr 800-jähriges Jubiläum. Die Stadt Kühlungsborn besteht zwar offiziell erst seit dem Zusammenschluss der beiden Gemeinden Brunshaupten und Arendsee im Jahre 1938, doch die Gemeinden existieren seit dem Mittelalter. Das ist Anlass genug, die Geschichte des Ortes etwas genauer zu beleuchten.
1219 wurde die Gemeinde Brunshaupten erstmals in der Stiftungsurkunde des Klosters Sonnenkamp – heute in Neukloster – erwähnt. Später wurde das Nonnenkloster zur Kirche umfunktioniert. Die St.-Johannis-Kirche ist damit das älteste Bauwerk der Stadt. Dieses Ereignis gilt als Gründungsjahr der Stadt Kühlungsborn, die erst im Jahre 1938 ihren heutigen Namen erhielt, nachdem die Gemeinden Brunshaupten, Arendsee und Fulgen unter Protesten von Einwohnern zusammengeschlossen wurden. 1275 schenkte die mecklenburgische Fürstin Anastasia von Mecklenburg dem Kloster Sonnenkamp per Urkunde das Dorf Arendsee.
Begonnen hatte alles als kleines Nonnenkloster, in denen Frauen ihr Leben Gott widmeten. Doch bereits nach acht Jahren wurde das Kloster ins heutige Neukloster verlegt. Vermutlich waren die landwirtschaftlichen Erträge in der Umgebung zu gering, was die Nonnen zum Umzug bewegte. Die Reformation ging 1520 friedlich im ehemaligen Brunshaupten vonstatten. Noch heute zeugt die evangelische Kirche in der Schlossstraße von ihren Ursprüngen. Das ehemalige Nonnenkloster ist heute als Mittelschiff ein Teil der St.-Johannis-Kirche. Der Dreißigjährige Krieg (1618 – 1648) hinterließ auch an der Brunshauptener Kirche Schäden. Aus eigener Kraft beseitigten die Bewohner der beiden Gemeinden sie nach dem verheerenden Krieg.
Fünf Beschuldigte endeten auf dem Scheiterhaufen, zwei wurden enthauptet. Eine Frau wurde ins Gefängnis gesperrt, eine weitere nahm sich nach der Folter das Leben. Seit 1773 gab es Ortsschulen in den beiden Gemeinden. Die evangelischen Prediger hatten die Aufsicht über Unterricht und Bildungsstand der Kinder. Ende des 19. Jahrhunderts setzten sich die Pastoren der von Brunshaupten und Arendsee für die Entstehung einer Industrieschule und zweier Privatschulen für Mädchen ein.
Als die Gemeinden Brunshaupten, Arendsee und Fulgen im 19. Jahrhundert die ersten Badegäste empfingen und sich zu Urlaubsorten wandelten, wuchsen auch die Kirchengemeinden mit. Die Kirche förderte unter dem damaligen Pastor Niemann das Badewesen und den Ausbau des Ostseebades. In den kommenden Jahrzehnten entwickelten sich die Badeorte und mit ihr die Stadt sehr positiv.
Nach der Machtergreifung Hitlers In der Zeit der Nationalsozialisten wurden auch in Brunshaupten und Arendsee Juden deportiert, wenn sie nicht schon vorher geflohen waren. Die Kirche war zu dieser Zeit gespalten. Auf der einen Seite waren seit 1933 die „Deutschen Christen“, die dem Hitler-Regime und dem Nationalsozialismus nahestanden und u.a. versuchten, Christen jüdischer Herkunft aus der Kirche auszuschließen. Auf der anderen Seite stand die 1934 gegründete „Bekennende Kirche“, welche entschiedene Gegner der „Deutschen Christen“ waren und diese aus der Kirchengemeinschaft ausschlossen. Sie setzten sich gegen die Gleichschaltung von Christlicher Lehre und Organisation der Deutschen Evangelischen Kirche mit dem Nationalsozialismus ein. Während des Holocausts gab es im Ostseebad Kühlungsborn auch einzelne Helden wie den Pfarrer Karl Timm, der eine Zeit lang die Berliner Jüdin Rosemarie Dessauer im Pfarrhaus im April 1945 vor den Nationalsozialisten versteckt hielt. Ihre Mutter und der Bruder wurden im Juni 1943 nach Auschwitz deportiert. Seit März 1943 wurde Rosemarie in verschiedenen Pfarrhäusern versteckt gehalten.
Kirche in der DDR
In der DDR hatte es die Kirche besonders schwer, stand doch die Religiosität vieler Menschen im Konflikt und Widerspruch zur sozialistischen Lehre. Die SED übte massiven Druck gegen die Kirche aus. Um sich überhaupt im sozialistischen Einheitsstaat betätigen und Zugang zu den Menschen finden zu können, wurde das Konstrukt „Kirche im Sozialismus“ geschaffen. Gleichwohl standen Christen in der DDR grundsätzlich eher unter Verdacht, Gegner des Sozialismus zu sein.
Die Kirche ist Täglich geöffnet von: 9-18 Uhr (April-September), 9-16 Uhr (Oktober-März)
Teils wurde Jugendlichen, die bekennende Christen waren, der Weg zur Hochschulreife oder zum angestrebten Beruf verwehrt. Die DDR-Staatssicherheit war auch im Ostseebad Kühlungsborn aktiv. Gottesdienste, Gemeindemitglieder und andere kirchlich aktive Personen wurden überwacht. Spitzel gab es überall, selbst in der Kirchengemeinde von Kühlungsborn. In den 1980er Jahren waren Kirchen wesentliche Keimzellen der Friedlichen Revolution und Demokratisierung. In Kühlungsborn fand der gewaltlose Widerstand ebenso wie im ganzen Osten 1988 seinen Ausdruck u.a. in Friedensgebeten und Diskussionsrunden vieler Bürger. Kirchliche Synoden waren Vorbild von Freiheit, denn dort konnte man konfessionsübergreifend weitgehend frei und sachlich Argumente über kirchliche, gesellschaftliche und ökologische Probleme austauschen. Denkwürdig war u.a. ein Friedensgebet, an dem 300 Personen in der voll besetzten St.-Johannis-Kirche und 700 weitere Menschen auf dem Kirchengelände vor Ort waren. Spontane Demonstrationen mit den bekannten Losungen „Freie Wahlen – jetzt“ und „Schluss mit Korruption und
Amtsmissbrauch!“ wurden abgehalten. Am 17. Oktober 1989 gründete die Evangelisch-Methodistische Kirchengemeinde in Kühlungsborn eine Ortsgruppe des Neuen Forums, die politische und wirtschaftliche Reformen in der DDR und im Wohnort durchsetzen wollte. Wenig später wurde die Wende vollzogen. Am 6. Mai 1990 fanden erstmals seit dem Ende der Weimarer Republik wieder demokratische Kommunalwahlen im Osten der Republik statt.
Wachsendes Interesse an der Kirche in der Gegenwart
Trotz der aktiven Rolle der Kirchengemeinde in der Wendezeit hat Pastor Borchert oft die Erfahrung gemacht, dass viele Kühlungsborner die Kirche nicht von Innen gesehen haben. Ursprünglich war sie im Mittelalter im Zentrum der Stadt angesiedelt, heute ist sie durch die das Bevölkerungswachstum und die Bebauung der Stadt an den Rand gerückt. Noch heute profitiert die evangelische Gemeinde davon, dass viele Badegäste ihren Urlaub im Ostseebad Kühlungsborn verbringen. Pastor Borchert tut als Urlaubsseelsorger seit August 2016 viel dafür. Ihm ist es wichtig, dort unverbindlich mit den Menschen ins Gespräch zu kommen, wo sie sich aufhalten. Das kann der Strand sein, aber auch der Bootshafen oder die Seebrücke. An regenfreien Sommertagen ist er regelmäßig am Strand unterwegs und führt z.B. spannende Strandkorbgespräche mit interessierten Urlaubern über die großen Themen des Lebens, aber auch darüber, was die Menschen bedrückt. Nach anfänglicher Zurückhaltung nehmen immer mehr Urlauber das Angebot wahr. Einige finden ihren Weg im Anschluss in die historische Kirche in der Schlossstraße und lauschen seinen Predigten. „Gerade im Urlaub werden viele Gäste nachdenklich und öffnen sich auch religiösen Fragestellungen leichter“, sagt Pastor Borchert. Die Vereinzelung der Menschen, der Rückzug vieler Menschen in die Privatsphäre und die Ellenbogen-Mentalität in der Gesellschaft bereiten ihm Sorgen. Der Glaube und die Kirchengemeinschaft böten Halt, Geborgenheit und Orientierung für die Menschen, die immer mehr von individuellen Interessen, Vorstellungen und steigenden Anforderungen im Arbeits- und Privatleben getrieben und belastet würden. „Die Menschen fragen sich heute mehr denn je, an welcher Ethik sie sich in Lebensfragen orientieren sollten. Die Kirche kann Antworten liefern.“, sagt Pastor Borchert. Auf die provokante Frage, ob die Kirchengemeinde in Kühlungsborn weitere 800 Jahre überdauern wird, antwortet er selbstbewusst: „Ja, klar wird die Kirche auch weitere 800 Jahre überdauern. Wie sie aufgestellt und strukturiert sein wird, kann ich nicht sagen. Aber ich bin zuversichtlich.“
Jubiläums-Festlichkeiten im September 2019
Am 19.–21. und 27.–29. September 2019 finden anlässlich des 800-jährigen Jubiläums Festlichkeiten statt. Als Festplatz soll das Gelände zwischen evangelischer Kirche und Pfarrscheune dienen. Aber auch in der Stadt wird man von dem Jubiläum etwas spüren. Mehr als 40 Veranstaltungen wurden bisher an mehreren Orten im Stadtgebiet eingeplant. Dazu zählen u.a. Kirchenführungen, historische Vorträge, der Johannis-Fußball-Pokal, ein Kinderfest der Grundschule, Konzerte von Pop bis Klassik, Licht-Installation, Erntedankfest mit einem Erntedankkorso, eine „Zeitreise“ von Kindern, ein Festgottesdienst und ein Fest-Empfang. Die Finanzierung wird durch Gelder der Kirchengemeinde, Sponsoren, eine kirchliche Stiftung und einen Zuschuss der Stadt sichergestellt. Anlässlich 800 Jahre Kirche in Kühlungsborn wird es ab Spätsommer 2019 auch den sogenannten „Kirchenlehrpfad“ geben, der organisatorisch durch die Tourismus GmbH unterstützt wird. Der Kirchenlehrpfad hat folgende Stationen: Seebrücke, die katholische Kirche, der Park beim Mollibahnhof Ost (Karl Risch-Straße), den Lindenpark, den Friedensstein, den Karpfenteich, Bahnhof Mitte und die evangelische Kirche. An jedem Standort stehen informative Tafeln zum Thema 800 Jahre Kirche in Kühlungsborn.
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Pastor Matthias Borchert
… ist der Pastor in der hiesigen evangelischen Kirche. Über verschiedene Pfarrstellen in Rödlin (bei Neustrelitz) und Neubrandenburg landete Pastor Borchert mit seiner Familie schließlich im schönen Kühlungsborn. Der Pastor lebt mit seiner Frau (ebenfalls Pastorin) und zwei Töchtern im Pfarrhaus. Seit 2016 bietet er in Kühlungsborn die Urlaubsseelsorge an.