Musik als Brücke zur mentalen Gesundheit

Wie zwei großartige Kühlungsborner Künstler es mit ihrem Herzensprojekt „ME & THE LION“ weit über die Grenzen unserer schönen Ostseeküste hinaus bis nach New York geschafft haben, dem Thema mentale Gesundheit und psychische Erkrankung auf musikalische Art ein Gehör zu verschaffen und jedem Betroffenen das Gefühl zu geben: „Du bist damit nicht allein.“ Wir wollten mehr erfahren und ihr Projekt auf diese Weise von Herzen unterstützen. Im Interview mit Anika und Leo Sieg:  

Zuerst einmal unseren allerherzlichsten Glückwunsch und Hut ab zu eurem grandiosen Auftritt im Triad Theater in New York im Mai dieses Jahres! Wie ist es dazu gekommen, dass ihr mit „ME & THE LION“ so erfolgreich über die Grenzen unserer Ostseeküste hinaus unterwegs seid?  

Ani: „Vielen Dank! Der Auftritt in New York war auf jeden Fall eines unserer Highlights in diesem Jahr. Wir können selbst noch nicht so recht fassen, was alles in kürzester Zeit passiert ist! Eine Zeit lang war die Stadt mein Zuhause und ich hätte mir nie träumen lassen, eines Tages dort mit meiner eigenen Musik auf der Bühne zu stehen, auf einer großen Leinwand im Kino zu erscheinen oder von einem der größten Billboards am Times Square zu leuchten. Das muss ich erstmal auf meine Bucket List schreiben, um es nun durchstreichen zu können!  

Die Reise zurück nach New York begann mit einem Post meines damaligen Managers. Er rief 2023 die International Mental Health Foundation ins Leben, mit der Aufgabe, psychischer Gesundheit Aufmerksamkeit über das Medium Kunst zu schenken. Ich erfuhr also, dass wir dasselbe Ziel auf zwei verschiedenen Kontinenten verfolgen. Als ich ihm von „ME & THE LION“ erzählte, lud er uns ein, gemeinsam mit der Stiftung einen Konzertabend in Manhattan zu gestalten. Meine Aufregung stieg immens, als ich später erfuhr, dass wir nicht nur Teil dieses wertvollen Events in einem wunderschönen und traditionsreichen Theater sein würden, sondern auch noch als Haupt-Act fungieren durften. Mit dabei waren grandiose einheimische Künstler vom Broadway, sowie aus den Bereichen Literatur, darstellende und bildende Kunst. Ich war dementsprechend starstruck!“  

Als Headliner auf der Veranstaltung der International Mental Health Foundation in New York aufzutreten, muss sicherlich zutiefst inspirierend, mitreißend und vielleicht auch überwältigend gewesen sein. Wie war die Zeit für euch dort? Was genau habt ihr erlebt? Habt ihr euren gesamten Aufenthalt „ME & THE LION“ gewidmet oder gab es auch Zeit, die Stadt selbst zu genießen? Fragen über Fragen …

Ani: „Mai ist der „Mental Health Awareness Month“ und zu diesem Anlass fanden zahlreiche Netzwerkveranstaltungen im Rahmen der American Psychiatric Association statt. Dank unserer Unterstützer konnten wir viele davon besuchen, um Kontakte innerhalb der Mental Health Branche zu knüpfen. Das war ein großer Segen für uns, denn dadurch hatten wir die Möglichkeit, unser Projekt vielen verschiedenen Menschen vorzustellen. Meine größte Sorge war von Anfang an, unserer Aufgabe nicht gerecht zu werden. Da ich Expertin aus Erfahrung und nicht aus studiertem Wissen bin, hatte ich Angst, ungenügend zu sein. Das Feedback war allerdings so positiv und wohlwollend, dass es sich wie ein offizielles Gütesiegel aus der Branche angefühlt hat. Zu wissen, mit „ME & THE LION“ auf dem richtigen Weg zu sein, hat uns ein ganz neues Selbstbewusstsein für unser Projekt gegeben.“  

Leo: „Wir sind unendlich dankbar für diese Erfahrung! Die Stadt an sich ist schon eine wahre Inspirationsquelle. Egal wo du hinschaust, überall begegnen dir kreative Konzepte, Ideen und inspirierende, hilfsbereite Menschen. Dadurch, dass wir Dank Anis Kontakten und Freunden eigentlich ständig mit Locals unterwegs waren, erhielten wir in den knapp 3 Wochen Insider-Einblicke, die dir als typischer Metropolenbesucher in der Regel verborgen bleiben. Besonders beeindruckt haben mich die Netzwerkveranstaltungen auf den Rooftops. Da stehst du auf einem der höchsten Gebäude der Stadt und tauschst dich mit Menschen aus der ganzen Welt über Gemeinsamkeiten, Ziele und Kollaborationen aus, während über dem Hudson die Sonne langsam untergeht.“ 

Liegt euer leidenschaftlicher und beruflicher Fokus schon immer auf der Musik und wie lange macht ihr dies schon gemeinsam? 

Ani: „Wir sind beide seit vielen Jahren hauptberuflich in der Musikbranche tätig. Ich bin ausgebildete Musiktheaterdarstellerin und Vocal Coach. Schon seit meinem vierten Lebensjahr wollte ich Sängerin werden. Leos Leidenschaft für Musik begann, als er als kleiner Junge im Tonstudio seines Onkels lauschte. Heute ist er hauptberuflich Schlagzeuger, Gitarrist und Audioengineer.“ 

Leo: „Gemeinsam betreiben wir ein kommerzielles Tonstudio für Musikproduktion, Podcasts, Hörbücher und Werbung. Unser Herzensprojekt „ME & THE LION“ ist noch recht frisch – uns gibt es erst seit knapp zwei Jahren. Hier verschmelzen unsere bisherigen Erfahrungen und jeweiligen musikalischen Prägungen.“ 

Wie seid ihr auf den Namen „ME & THE LION“ gekommen?   

Leo: „Bei der Suche nach einem passenden Synonym für die Werte unseres Projektes, kamen wir auf den Löwen. Er symbolisiert Mut, Kraft, Stärke und vermittelt Sicherheit. Er steht für den Mut, den viele brauchen, um sich mit ihrer eigenen psychischen Gesundheit auseinanderzusetzen. Der Löwe kann zum Beispiel ein guter Freund sein oder ein Therapeut, ein aufbauender Song oder ein lehrreiches Buch. Unser vollständiges Motto lautet: „Du bist nicht allein, denn du hast einen Löwen an deiner Seite!“ 

Was hat euch dazu inspiriert, eure Musik zu nutzen, um auf dieses wichtige und oft verharmloste Thema aufmerksam zu machen?  

Ani: „Mein Auto muss einmal im Jahr zum TÜV, damit es nicht zu einer Gefahr für mich und andere im Straßenverkehr wird. Es muss auch dann zum TÜV, wenn ich denke, dass mit meinem Auto alles ok sei. Denn was ich für ok halte, muss nicht ok sein. Prägung, Gewohnheit, die eigene Schmerzgrenze und der Mangel an Informationen spielen dabei eine ganz große Rolle. Wenn ich mein Auto beispielsweise nur ohne Spiegel kenne und es nie zum TÜV oder in die Werkstatt bringe, weiß ich nicht, wie es ist, den richtigen Überblick zu haben. 

Früher dachte ich, meine Symptome seien nur eine Frage der Einstellung, etwas, womit ich mich arrangieren muss. Dann lernte ich, dass ich zum einen überhaupt nichts für sie kann und zum anderen sie mit der richtigen Behandlung sogar verschwinden können! Bevor ich meine Diagnose Komplexe Posttraumatische Belastungsstörung bekam, habe ich zuvor nie etwas von ihr gehört. Ich wusste nicht, dass ich durch eine Therapie eine viel höhere Lebensqualität erreichen kann und hatte dann das Bedürfnis, von den Dächern zu schreien, dass niemand so leben muss! Das war die Initialzündung dafür, mit den Songs und ihren Bedeutungen nach draußen zu gehen. Erst in meiner Therapie begann ich zu verstehen, was ich da eigentlich in meinen Liedern verarbeite. Vorher hatte ich die Sprache dafür nicht und schrieb sie mir einfach wortwörtlich von der Seele.“  

Leo: „Wir erfuhren, wie viele Menschen mit diesen Themen zu kämpfen haben und wollten durch das Veröffentlichen der Songs ein Gefühl von Zusammenhalt und Hoffnung vermitteln. Kurz zuvor starb ein sehr nahestehender Mensch an einer psychischen Erkrankung und wir mussten lernen, dass daran mehr Menschen im Jahr sterben als an Verkehrsunfällen! Das war der Moment, in dem wir beschlossen, das Projekt in den Dienst der Prävention und Entstigmatisierung psychischer Erkrankungen zu stellen. Denn es ist das Stigma, das noch dafür sorgt, dass nicht selbstverständlich darüber gesprochen wird und darum vieles im Verborgenen bleibt. Unser Ziel ist es, das Unsichtbare mit unserer Musik sichtbar zu machen.“ 

Es braucht wahnsinnig viel Mut und Stärke und verdient größten Respekt, die eigenen schmerzhaften Erfahrungen in einem Song zu verarbeiten. Ihr vermittelt vermutlich viel mehr Menschen, als man ahnen mag, dass sie mit diesem Thema, ihren Sorgen und Ängsten definitiv nicht allein sind. Gab es bei euch während der Produktion der Songs Momente, in denen ihr gezweifelt habt, ob ihr selbst das mental schafft oder in denen euch der Mut verlassen hat?  

Ani: „Vielen Dank dir! Ja, absolut. Man stellt sich seinen eigenen Dämonen. Das Video zu unserem Song „Lose Yourself“ als ein One-Take-Video zu drehen, hatte ich total unterschätzt. Tatsächlich ist es sogar der erste Take, der im Musikvideo gelandet ist. Dabei wollten wir zunächst nur das Licht und den Winkel testen. Ich wurde von meinen Emotionen total überrannt und es war mir sehr unangenehm, mich so zu sehen, geschweige denn so verletzlich und angreifbar zu zeigen. Es war so roh, ungefiltert, einfach echt. Darum musste es dieser Take sein! Auch wenn er in meinen Augen unschön ist. So, wie es nun mal ist, wenn es auf einmal dunkel in einem wird. Da ist nichts Schönes dran! Ich brauchte viel Mut, um auf ‚Veröffentlichen‘ zu klicken. Aber in solchen Momenten erinnere ich mich daran, warum wir tun, was wir tun. Unser Motiv soll immer mehr wiegen als die Angst vor dem inneren Prozess oder vor dem, was nach der Veröffentlichung kommt: die Bewertung von außen.“ 

Leo: „Und genau das macht die Musik so ehrlich und kraftvoll.“  

Songs, wie „Let the Rain Come“ oder „Lose Yourself“, herauszubringen, gerade wenn sie eine so wichtige Botschaft transportieren sollen, erfordert sicher viel mehr Arbeit, Zeit und vor allem Herzblut, als der Zuhörer am Ende oftmals sieht. Wie läuft das bei euch ab, wenn ihr einen Song zum Leben erweckt?  

Ani: „Für mich fühlt sich ein neuer Song wie ein Geschenk an. Es ist, als ob er aus dem Nichts kommt und bereits fertig ist. Wie bei einem Download formen sich Melodie, Text und die Struktur innerhalb kürzester Zeit. Leo und ich setzen uns dann zusammen ans Piano, holen die Gitarre hervor und lassen den Song mit uns wachsen, bevor es an die Produktion und die musikalische Umsetzung geht. Bisher haben wir uns dafür sehr viel Zeit gelassen. Besonders am Anfang war es uns wichtig, herauszufinden, wie die Musik von „ME & THE LION“ eigentlich klingt. Daher haben wir vieles ausprobiert und uns zudem Gastmusiker für die Instrumente Cello und Klavier ins Studio eingeladen.“  

Leo: „Wenn alles im Kasten ist, setzen wir uns an das Mixing und Mastering. Anschließend veröffentlichen wir die Singles über unser eigenes Label und mithilfe eines externen Distributors auf den gängigen Streaming-Plattformen wie Spotify, Amazon Music, Apple Music und Co. Da wir den Großteil dieser Arbeit noch zu zweit selbst erledigen, kann dieser gesamte Prozess durchaus Monate für eine Single in Anspruch nehmen. Im Falle von unserem Debüt „Let the Rain Come“ haben wir zusammen mit einem Team aus Regisseurin, Schauspieler und Videoproduktion zudem noch ein aufwändiges und bildgewaltiges Musikvideo produziert. Dieses ist natürlich auf YouTube zu finden! :)“ 

Ani: „Die Arbeit an einem Song ist wie ein Puzzle. Jeder kleine Baustein – vom ersten Akkord bis zur finalen Produktion – formt das Gesamtbild. Besonders bei einem Thema, wie der mentalen Gesundheit, ist es uns wichtig, dass jede Note und jedes Wort den Hörer wirklich erreicht.“ 

Ihr seid hier in der Region mit „ME & THE LION“ sehr aktiv, um Aufklärungsarbeit zum Thema mentale Gesundheit zu leisten. Möchtet ihr darüber ein wenig berichten?  

Leo: „Sehr gerne! Bei aller Motivation, das Thema der Aufklärung über psychische Gesundheit international anzugehen, ist es uns ein Bedürfnis, in der Heimat zu wirken. Regional arbeiten wir momentan unter anderem mit „Blick auf – KipsFam MV“ (Kinder aus psychisch und/oder suchtbelasteten Familien), „all inklusiv Rostock“, sowie „EX-IN MV“ zusammen. Dort lässt sich Ani gerade zur Genesungsbegleiterin ausbilden, um zukünftig auch als Expertin durch Erfahrung in der Gesundheitsversorgung Unterstützung zu leisten.“ 

Gab es einen Moment, der euch besonders berührt hat, als ihr mit eurem Herzensprojekt unterwegs wart?  

Ani: „Oh ja – nicht nur einen! In New York wurde unser Konzert von der wunderbaren Psychiaterin Dr. Nina Urban begleitet. Sie gab dem Publikum eine fachliche Einleitung zur Thematik und fungierte nach dem Konzert als Anlaufstelle. Mehrere Menschen kamen am Ende auf sie zu, da sie sich in unseren Liedern wiederfanden. Zu erkennen, dass etwas nicht stimmt, ist der erste Schritt auf dem Weg zur Heilung. Der Wunsch, andere bei ihrem Heilungsweg zu unterstützen, hat sich somit erfüllt!“ 

Leo: „Nach unserem Konzert beim „all inklusiv Festival“ in Rostock waren wir auch sehr von dem Feedback berührt, unser Konzert sei „wie eine Umarmung für die Seele“. Genau das wollen wir sein. Eine Umarmung, die auffängt, tröstet, Kraft spendet und das Gefühl gibt, gesehen zu werden.“ 

Wird es weitere Auftritte wie diesen in New York geben?  

Ani: „Wir sind in Gesprächen für weitere Auftritte in Kanada und den USA. Es gibt viele tolle Ideen und Willensbekundungen. Unser Hybrid-Konzert aus Musik und Aufklärung eignet sich auch gut für Schulen und Unis! Nun müssen wir allerdings erstmal Unterstützung finanzieller Art akquirieren, denn ein solches Unterfangen kostet neben Zeit natürlich auch Geld. In Amerika kann man uns (und andere Projekte) bereits über die International Mental Health Foundation gegen Spendenquittung unterstützen. Nun sehen wir uns derzeit nach Fördertöpfen um und arbeiten an einer Möglichkeit, dass man „ME & THE LION“ auch hierzulande unterstützen kann.“ 

Was wäre für euch persönlich der größte Wunsch für die Zukunft von „ME & THE LION“?  

Ani: „Mein größter Wunsch ist es, dass die Prävention und Aufklärung über psychische Erkrankungen so selbstverständlich praktiziert wird, wie die Prävention beim Straßenverkehr. Auch Menschen ohne Führerschein wissen, wie man sich verhält, damit man heil über die Kreuzung kommt. Niemand würde jemanden stigmatisieren, weil er sein Auto regelmäßig zum TÜV bringt, oder es mal länger in die Werkstatt muss!“ 

Leo: „Musik verbindet und erreicht Stellen, die Worte allein nicht erreichen. Je mehr Menschen wir mit unserer Musik erreichen, desto besser! :)“ 

Möchtet ihr den STRANDGUT-Lesern abschließend gerne etwas mit auf den Weg geben?  

Ani: „Niemand kann etwas für seinen Schnupfen. Eine psychische Erkrankung sucht man sich genau so wenig aus. Und wie ein Schnupfen, kann sie jeden treffen und ist nichts, wofür man sich schämen muss. Du musst nichts still ertragen und aushalten. Es gibt Hilfe.“ 

Leo: „Egal, wo du gerade im Leben stehst – du bist nicht allein. Die Kraft, die dein Herz weiter schlagen lässt, ist dieselbe Kraft, die dich auch da durch trägt. Du hast einen Löwen an deiner Seite!“  

Vielen, lieben Dank für eure Zeit, Einblicke in eure Gedanken, Erfahrungen und Ziele mit „ME & THE LION“, aber vor allem für euer Engagement in diesem wichtigen Thema „Mentale Gesundheit“. Wir wünschen euch und eurem Projekt von Herzen nur das Beste für die Zukunft.  

Noch viel mehr über Anika und Leo sowie ihr Projekt ist zu finden unter: www.meandthelion.de 

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